In diesem Beitrag stelle ich Ihnen eine effektives Konzept vor, das ich vor allem in Supervisionen bei begrenzten zeitlichen und/oder finanziellen Ressourcen einsetze.

Es wurde nach dem Vorbild der psychoanalytischen Fokaltherapie entwickelt. Seine Stärken zeigt es, wenn das Verständnis für verborgene Ursachen und die Tiefe der erreichten Lösungen nicht unter diesen begrenzten Ressourcen leiden darf.

Zu Beginn einer Supervision steht  oftmals ein konkreter Beratungsanlass. Denken Sie zum Beispiel an

  • einen akuten Konflikt im Team
  • die Betreuung eines besonders schwierigen Klienten oder Patienten
  • eine organisatorische Umstrukturierung, die mit Personalabbau einhergeht.

Ziel der Supervision ist dann die Lösung dieses bereits bekannten, zentralen Problems, das mehr oder weniger umfangreich sein kann.

Mitunter ist der Anlass einer Supervision jedoch lediglich die Feststellung, dass „etwas nicht stimmt“. Dann muss ein Zielproblem oder die zentrale Fragestellung am Anfang einer Supervision gemeinsam definiert werden.

Begrenzte zeitliche und finanzielle Ressourcen machen es häufig erforderlich, dann einen Fokus zu formulieren, und weitere, mögliche Fragestellungen „abzublenden“. Diese Fokussierung ist aber nicht nur zeitökonomisch, sondern auch methodisch sinnvoll, wenn eine Supervision mit begrenzten Ressourcen erfolgreich sein soll.

Nun ist vielleicht Ihre Vorstellung, dass psychoanalytische Supervision für solche thematisch eingegrenzte Fragestellungen nicht geeignet ist – zumal wenn diese auch noch in einer begrenzten Zeit gelöst werden sollen. Allgemein verbindet man mit Psychoanalyse lang dauernde, zeitlich intensive und kostspielige Prozesse, die ergebnisoffen geführt werden.

Welche Möglichkeiten Ihnen die psychoanalytische Supervision und insbesondere eine aus der Fokaltherapie abgeleitete Herangehensweise – in einem solchem Fall bietet, werden Sie sich besser vorstellen können, wenn ich Ihnen ein Bild von den vielfältigen Bereichen der Arbeitswelt vermittele, in denen gewinnbringend „psychoanalytisch gedacht“ und gearbeitet werden kann.

Psychoanalyse und ihre Anwendungen in der Arbeitswelt

Seit der „Erfindung“ der Psychoanalyse durch Sigmund Freud gibt es bereits die sogenannten „Anwendungen“ psychoanalytischen Denkens, die sich neben der Psychoanalyse im engeren Sinn – mehrstündigen analytischen Prozessen im klassischen Couch-Setting – entwickelten. Sie reichen von eigenständigen Ansätzen in der Sozialarbeit, der Pädagogik oder der Kulturtheorie bis hin zu den heute bekanntesten therapeutischen Verfahren der tiefenpsychologisch fundierten, psychodynamischen und analytischen Psychotherapie, der Fokaltherapie, dem ursprünglich psychoanalytisch begründeten Körpertherapieverfahren der Bioenergetik oder dem katathymen Bilderleben.

Genauso haben sich im Bereich der Supervision und Beratung psychoanalytisch begründete Verfahren entwickelt. Beispiele hierfür sind

  • das Balintgruppen-Verfahren, ein Beratungsformat, das seit langem fester Bestandteil des Ausbildungscurriculums von Psychotherapeuten ist
  • psychodynamisches Coaching
  • die Organisatorische Rollenanalyse (ORA)

„Der Fokus“ in der Supervision nutzt das Fundament der Psychoanalyse auch für kurze Beratungsprozesse – wie in der Fokaltherapie bei der Kurzzeit-Behandlung von Patienten

Hintergrund der psychoanalytischen Fokaltherapie ist die Erfahrung, dass die Konzentration auf EIN Problem mit der Gefahr eines zu begrenzten Blickfeldes verbunden sein kann, das wichtige Einflussgrößen außer Acht lässt. Das lässt sich mit Scheuklappen vergleichen. Bei Kutschen-Pferden sind sie nützlich, bei Fachkräften, die eigenverantwortlich arbeiten, fatal.

Der Fokus

Der Fokus – Konzentration auf die aktuelle Aufgabe, ohne die unbewusste Peripherie aus dem Auge zu verlieren.

Als Fokus wird ebenfalls – wie in der Optik – ein Punkt der Konzentration bezeichnet. Er repräsentiert das, was „im Moment dran ist“. Wer fokussiert, stellt auf einen bestimmten Bereich seines Blickfeldes scharf, und nimmt dazu mit dem anatomischen „Punkt des zentralen Sehens“ zugleich in Kauf, dass er Bewegungen weniger deutlich wahrnehmen kann. Dafür ist ein anderer, „afokaler“ Bereich in der peripheren Netzhaut des Auges zuständig.

Im Gegensatz zur Scheuklappe ist jedoch ein schneller Wechsel zum „peripheren Sehen“ möglich, wenn ein bewegtes Objekt in das Blickfeld eintritt. Wir sehen etwas, das auf uns zu kommt. Mit den Nervenzellen des peripheren Sehbereichs sind Zentren des Gehirns verschaltet, die Alarmfunktionen wahrnehmen.

Vergleichbar dazu dient die „afokale“ Betrachtungsweise, das afokale „Sehen“ in der psychoanalytischen Supervision der Berücksichtigung dieser wichtigen Einflussgrößen. Ohne die Berücksichtigung dessen, was sich bewegt, aber oft nur unscharf zu erkennen ist, wird die eine Lösung des Problems nicht – oder allenfalls nur oberflächlich oder zeitlich befristet – möglich sein.

Unbewusste Prozesse sind wie Bewegungen in der Peripherie der zentralen Aufmerksamkeit

In allen Beziehungen sind unbewusste Prozesse beteiligt. Afokales „Sehen“ richtet sich auf diese unbewussten Aspekte. Da sie sich dem bewussten Nachdenken jedoch entziehen, bedürfen sie einer besonderen Betrachtungsweise. Diese wird in der klassischen Psychoanalyse und in den analytischen Therapieformen als „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ bezeichnet. Mit ihr lassen sich Faktoren wahrnehmen, die sich nur indirekt mitteilen. Sie zeigen sich in Brüchen der Kommunikation, unlogischen und unerwarteten Entwicklungen, oftmals sogar scheinbar völlig irrelevanten „Randerscheinungen“, die unter anderen Umständen schnell abgetan werden und damit unberücksichtigt bleiben – wenn sie überhaupt wahrgenommen werden.

Aus dieser Peripherie der bewussten, zielgerichteten Aufmerksamkeit entstammen all die auch im Alltag auftauchenden, plötzlichen und ungeplanten Einfälle, Affekte, Bilder, Geistesblitze und verrückten Ideen, die sich bei näherer Betrachtung oft als außerordentlich hilfreich – aber mitunter auch als störend erweisen.

„Unaufmerksam-aufmerksam“ wahrgenommen, lassen sie sich zum Verständnis dessen, was vor sich geht, nutzen. Häufig handelt es sich dabei z.B. um Bilder, die sich zum Verständnis dessen, was gerade „dran“ ist, verwenden lassen. Und damit lassen sie sich zur Formulierung eines Fokus für die psychoanalytische Supervision nutzen.

Wie lässt sich daraus ein Fokus formulieren?

Damit ein Fokus nicht zum Scheuklappen-Sehen führt, muss er beweglich und zugleich konkret sein. Um einen geeigneten Fokus zu formulieren, mit dem sich arbeiten lässt, bieten sich Methoden an, die ein dynamisches Moment – die „Bewegungen der Peripherie“ enthalten. Dafür lassen sich z.B.

  • Metaphern
  • Analogien
  • szenische Bilder
  • sog. Fokal-Sätze

verwenden, die in einer ersten Phase der Problem-Fokussierung auftauchen.

Ein Fokal-Satz eignet sich besonders zur Beschreibung eines Konflikts, der sich auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Beziehungs-Kontext zurückführen lässt. Mit dieser Formulierung entsteht eine Struktur, die wir mit der Überschrift eines Kapitels in einem Buch oder Artikel vergleichen können. Ein Leser wird sich mit dieser Überschrift kurz informieren, dann jedoch in das Kapitel vertiefen. Sollte er im Text die Orientierung verlieren oder zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zum Kapitel zurückkehren, wird er mit Hilfe dieser Überschrift schnell wieder Einstieg finden.

Somit ist der Fokal-Satz – wie auch die übrigen Methoden, mit denen sich ein Fokus formulieren lässt – eine handliche Arbeitshilfe, die jedoch die Tiefe der Fragestellung, die im Zentrum der Supervision stehen soll, nicht zu sehr einschränkt, und damit auch Aspekte der „Peripherie“, der Bewegung um die zentrale Fragestellung herum, mit einbezieht, ohne aus den Augen zu verlieren, was im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen soll.

Zusammenfassung

Wie lässt sich bei begrenzten zeitlichen und/oder finanziellen Ressourcen eine Fragestellung eingrenzen, die im Mittelpunkt eines psychoanalytischen Supervisionsprozesses stehen soll, ohne dabei wichtige Aspekte verborgener, unbewusster Prozesse außer Acht zu lassen?

Über die Formulierung eines Fokus gelingt es, zu „wissen, was jetzt dran ist“, und zugleich die Dynamik des Kontextes, die Bewegungen in der Peripherie, die affektiven und unbewussten Aspekte zum Verständnis des Problems zu nutzen, das mit Hilfe einer Supervision gelöst werden soll.

Dafür eignen sich Metaphern, Fokal-Sätze und andere, anschauliche Hilfen, die auch tiefere, verborgene Ebenen eines Konflikts oder einer kritischen Entwicklung in die Betrachtung einbeziehen. Diese lassen sich finden, wenn neben dem fokalen, konzentrierten Sehen auch das afokale, aufmerksam-unaufmerksame Sehen der psychoanalytischen Supervision genutzt wird.