Wenn Sie mit der Frage „Was ist Supervision?“ das Internet durchsuchen, haben Sie vermutlich entweder ein konkretes Anliegen, für das sie eine geeignete Beratung suchen, oder Sie suchen als Fachkraft, als Auszubildender oder „einfach neugierig“ eine geeignete Definition.
Als spezifisches Beratungsformat unterscheidet sich Supervision von Coaching, Mentoring, Training und anderen, berufsbezogenen Interventionsformen. Sie weist jedoch – je nach Arbeitsstil des Supervisors und konzeptueller Ausrichtung – auch einige Überschneidungen mit diesen auf.
Supervision ist Beratung im beruflichen Kontext
Die wichtigste Unterscheidung betrifft jedoch die Abgrenzung von Beratung und Therapie im persönlichen Bereich. Viele Supervisoren sind zugleich auch Psychotherapeuten. Sie arbeiten mit therapeutischen Techniken, Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung ist die Heilung oder Linderung einer Krankheit.
Supervision ist hierfür nicht geeignet. Sie bedient sich zwar einiger Methoden, die therapeutischen Techniken ähneln oder sich aus ihnen entwickelt haben, verfolgt jedoch eine ganz andere Zielsetzung. Aus diesem Grund achtet ein guter Supervisor darauf, dass sich aus Supervisionssitzungen keine versteckten Therapiesitzungen entwickeln.
Das gilt zum Beispiel, wenn in einer Supervision persönliche Fragestellungen oder Probleme deutlich werden. Manchmal ist es notwendig, die persönliche Perspektive in ihren Auswirkungen auf die berufliche Rolle zu betrachten. Diese wird dann jedoch ausschließlich in ihrem Bezug zur Arbeitssituation beleuchtet. Alle darüber hinaus gehenden Schritte mögen zwar manchmal nahe liegen, plausibel und hilfreich erscheinen, überschreiten jedoch den Kompetenzbereich des Supervisors.
Für den Fall, dass in einer Supervisionssitzung persönliche Themen geklärt werden sollen, verweise ich auf Alternativen, wie etwa eine psychologische Beratung oder eine Psychotherapie, die für Sie geeigneter sind und einen besonderen, geschützten Raum bieten.
Supervision ist Lernen durch Erfahrung
In der Supervision stehen häufig Fragestellungen im Mittelpunkt, die die Kommunikation im weiteren Sinne betreffen. Besonders gilt das für die Supervisionsarbeit in psychosozialen Organisationen.
Paul Watzlawick, ein österreichischer Psychoanalytiker und Kommunikationswissenschaftler, prägte den Ausdruck:
Man kann nicht nicht kommunizieren.
Supervision bietet die großartige Möglichkeit, innerhalb der Gespräche selbst einen Großteil der Faktoren zu erkennen, anzusprechen und zu verändern, die zu einer Krise, einer kritischen Entwicklung oder einem Problem beitragen.
Die Aufmerksamkeit auf solche Phänomene innerhalb einer Sitzung kann man nun selbst als Problem bezeichnen („nicht mal hier kann ich ungestört nachdenken“) oder aber auch als großen Vorteil sehen. Als psychoanalytischer Supervisor betrachte ich es eindeutig als Vorteil.
In der Beteiligung des Supervisors an solchen Prozessen, die dann gemeinsam untersucht werden können, liegt die Stärke der „teilnehmenden Beobachtung“ und der „psychoanalytischen Einfühlung“.
So können Sie als Auftraggeber einer Supervision die Erfahrung IN einem Supervisionsprozess als Lernprozess nutzen. Eine gemeinsame Auswertung dieser Prozesse gehört dabei genauso selbstverständlich dazu wie die abschließende Überlegung, wie sich die gewonnenen Einsichten in den Praxisalltag übersetzen lassen.
Supervision ist Vermittlung von Wissen und Einsicht
Als Beispiel möchte ich eine Fall-Supervision schildern, in der es um die Arbeit mit einem schwer kranken Klienten in einem ambulanten Betreuungsdienst ging.
Zunächst stand die Schilderung einer konkreten Krisensituation im Vordergrund, und die gemeinsame Untersuchung der Dynamik zwischen den Beteiligten wies darauf hin, dass der Patient die betreuende Fachkraft als übermächtig erlebte, paranoide Angst entwickelte und deswegen den Kontakt abgebrochen hatte. Die Interaktion in der Supervisionssitzung selbst verdeutlichte, dass auch die Fachkraft sich von ihrem Klienten unterschwellig bedroht gefühlt und aus Angst „Macht demonstriert“ hatte. Rasch ließ sich die interpersonelle Dynamik klären. Dann jedoch war ein Expertenrat notwendig, als es um die Frage der konkreten Gefährdung des Klienten ging. Es galt, Wissen in Form von möglichen Indikatoren aggressiven Verhaltens zu vermitteln, und Strategien zu entwickeln, um diese behutsam erkennen und ansprechen zu können.
Zugleich ergab sich jedoch durch das Gespräch in der Sitzung für die Fachkraft, die ihren Klienten vorgestellt hatte, die Einsicht, dass sie in Situationen, in denen sie sich überfordert zu fühlen begann, unmerklich ihre Stimme erhob, was dazu führte, dass sie selbst zugleich als aggressiver, aber auch unsicherer wahrgenommen wurde. Die Rückmeldung der Gruppe ermöglichte ihr die Reflexion dieses von Angst geprägten Verhaltens, das zur Eskalation beigetragen hatte.
Supervision ist „ein zweiter Blick“
Gerade der letzte Punkt schraubt jedoch mitunter die Erwartungen an einen Supervisor als Experten in die Höhe. Das ist nicht unproblematisch, denn daraus entwickelt sich schnell ein Gefälle an „Wissen“ und „Erfahrung“, das weder zutreffend noch förderlich ist.
Meinen Beitrag als Supervisor betrachte ich somit eher als „einen zweiten Blick“ auf die von Ihnen vorgestellte Frage und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten einer Lösung bzw. Beantwortung Ihrer Frage. Mein vordringliches Anliegen ist, mit Ihnen zu erkennen, wo die besondere Dynamik der konkreten Situation Ihnen den Zugang zu Ihrem eigenen Wissen und Ihrer eigenen Erfahrung versperrt.
Diese Herangehensweise ist Ausdruck meiner psychoanalytischen Grundhaltung. Auch in meiner psychotherapeutischen Praxis sind meine Patienten meine wichtigsten Partner. Ohne sie bin ich „nichts“, zumindest in meiner Rolle als Analytiker. Diese Haltung lässt sich auch als „ressourcenorientiert“ bezeichnen, weist jedoch meines Erachtens weit darüber hinaus. Womit wir zum letzten Punkt dieses Beitrags kommen:
Aushalten von Unsicherheit
Manche Beratungsangebote suggerieren, dass Unsicherheiten beseitigt werden müssen. Aus meiner Erfahrung gelingt das jedoch oft nicht. Die daraus folgende Enttäuschung schmälert das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, die – weiterhin vorhandene – Unsicherheit zu bewältigen.
In unsicheren Zeiten voller äußerer und innerer Veränderungen, schwindender gesellschaftlicher Orientierungswerte und sich auflösender Grenzen (national/global, politisch und sozial, spirituell wie emotional) gewinnt die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten und mit ihr umzugehen, eine immer größere Bedeutung. Sie wird zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor in der Wirtschaft, zu einem wichtigen Vorteil in zwischenmenschlichen Beziehungen und zu einem zentralen Moment im Umgang mit komplexen Aufgaben in der psychosozialen Arbeit.
Aus diesem Grund biete ich Ihnen in der Supervision einen Erfahrungsraum, um in der vertrauensvollen Arbeitsbeziehung eines Supervisionsprozesses immer wieder von der Grundannahme auszugehen:
„Es könnte auch ganz anders sein“
Falsch verstanden, könnte diese Haltung den Verdacht nahelegen, dass es nicht möglich ist, einen Standpunkt zu beziehen, eine Entscheidung zu treffen oder eine Bewertung vorzunehmen. All das ist aber unbedingt erforderlich für professionelles Handeln.
Ausschlaggebend für mein Verständnis von Supervision ist jedoch, dass es immer etwas geben kann, was ich nicht bedacht, nicht erkannt, nicht wahrgenommen habe. Ich möchte mich und Sie in die Lage versetzen, sich offen zu halten für Unerwartetes, Unplanbares, Unbewusstes, das Ihnen anderenfalls gerne beweisen wird, wie begrenzt Ihre Möglichkeiten und wie eingeschränkt Ihr Wissen sind.
Die psychoanalytische Haltung des „Nicht-Wissens“
Diese ernüchternde Erkenntnis gilt es erst einmal zu verdauen. Psychoanalytische Supervision bietet Ihnen hierfür einen reichen Schatz an Erfahrungen, an Konzeptualisierungen und Möglichkeiten.
So ist zum Beispiel eine der zentralen Denkfiguren, die der britische Psychoanalytiker Wilfred R. Bion bereits in den 50er Jahren geprägt hat, der Grundsatz des „no memory, no desire, no understanding“ – also das „Nicht-Erinnern, Nicht-Wünschen und Nicht-Verstehen“. Zugleich war er jedoch einer der präzisesten Denker und Forscher, der mit der mathematischen Genauigkeit seiner Theorien so manchem zeitgenössischen Psychologen Rätsel aufgibt.
Diese Gleichzeitigkeit hat einen wichtigen Grund. Wer sich mit psychischen Phänomenen beschäftigt, muss anerkennen, dass Vieles sich dem bewussten Nachdenken, dem Planen und Strukturieren entzieht. Das beschreibt schon das sprichwörtliche „Es kommt immer anders, als man denkt“ – oder mit den Worten Henry Millers
Leben ist das, was uns zustößt, während wir uns etwas ganz anderes vorgenommen haben.“
Wenn wir nun trotzdem versuchen wollen, zu „verstehen, was vor sich geht“, dann bietet sich dazu die innere Haltung des „Nicht-Wissens“ an. Sie geht zu allererst einmal davon aus, dass wir eigentlich keine Ahnung davon haben, wieso, weshalb und warum etwas geschieht. Diese Ahnungslosigkeit bedeutet jedoch nicht, den Verstand und das erworbene Wissen, die eigenen Erfahrungen und professionellen Grundlagen abzugeben. Mitnichten. Sie kultiviert einen produktiven Zweifel an vorwegnehmenden Einschätzungen, die unseren Blickwinkel einengen und unsere Offenheit einschränken. So können wir dem, was „geschieht“, mehr Aufmerksamkeit zuwenden.
Richtig verstanden und angewendet, verhilft diese offene Haltung des „Nicht-Wissens“ zu einer inneren Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, Zusammenhänge wahrzunehmen, die uns ansonsten nicht erkennbar wären, und somit dem, der sich nur auf das Bekannte, Vertraute und Gesicherte beschränkt, immer einen Schritt voraus zu sein.
Was ist in diesem Zusammenhang Supervision? Sie bietet die Möglichkeit, sich in einem begrenzten Raum und in begrenzter Zeit in der Fähigkeit zu üben, problematische Situationen, Krisen und Fragestellungen zu „befragen“, statt mit vorschnellen Antworten im Grunde nur „noch mehr desselben“ hinzuzufügen. Das hieße nämlich letztlich, davon auszugehen, dass sich ein Problem mit den gleichen Mitteln lösen lässt, mit denen man hinein geraten ist. Doch das geht nach meiner Erfahrung meistens schief…